Demenzfachpflege zukunftsfest machen statt aufgeben
BUNDESTAGSWAHL 2025
Forderungen an die Politik zur Bundestagswahl und Regierungsbildung
Mit großer Sorge sehen wir eine äußerst kritische Situation in der Altenhilfe, die sowohl die häusliche Pflege Angehöriger als auch die professionelle Pflege, insbesondere demenzkranker Menschen, schon jetzt sowie zukünftig massiv gefährdet. Wenn am 23. Februar 2025 ein neuer Bundestag gewählt wird, erwarten wir deshalb von einer neuen Bundesregierung die Bereitschaft und den Mut, endlich die immer noch unzureichend organisierte Pflege demenzkranker Menschen in allen Formen der Versorgung auf ein tragfähiges und zukunftsfähiges Fundament zu stellen. Es braucht ein Umdenken und eine neue Perspektive. Ein "Weiter-So" und einfach mehr Geld, vor allem in das professionelle Pflegesystem, zu geben, greifen zu kurz. Hierzu hat die Initiative Pro Pflegereform und darauf aufbauend der Deutsche Verband der Leitungskräfte der Alten- und Behindertenhilfe (DVLAB) wichtige Anforderungen unter anderem zur Finanzierbarkeit der Pflege und Deckelung des Eigenanteils, zur Vereinfachung des Leistungsrechts, zur Stabilisierung der Versorgungsstruktur, zum Personalnotstand und zu Anreizsystemen für An- und Zugehörige und die Zivilgesellschaft vorgelegt. Die DED unterstützt diese Positionen, die sich allgemein auf die Pflege beziehen, und ergänzt diese um einen notwendigen demenzspezifischen Schwerpunkt. Im Folgenden bitten wir Sie als mögliche Vertreter*innen einer potenziellen Regierungspartei um Beachtung von vier Forderungen.
1. Stationäre Demenzfachpflege erhalten
10-20 Prozent der Menschen mit Demenz, zum Teil mit mehreren psychiatrischen und somatischen Diagnosen, entwickeln eine schwere Ausprägung herausfordernden Verhaltens. Sie gefährden sich und andere, und alle Beteiligten stehen zu Hause oder in klassischen Pflegeheimen unter einem erheblichen Leidensdruck. Diese Daten spiegeln sich im Abschlussbericht 2020 der mit 38 Heimen durchgeführten Studie "Bedarfskonstellationen bei gerontopsychiatrisch erkrankten Heimbewohnern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten" des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld wider. In den letzten 30 Jahren wurden weltweit, auch in Deutschland, spezielle Versorgungskonzepte entwickelt. Durch komplexe, multimodale Interventionen, vor allem nicht-medikamentöser Art, wird das Leiden bzw. der Stress gemindert, eine sichere Umgebung gewährleistet und eine pflegerische und medizinische Versorgung sichergestellt. Dafür ist ein hoher Aufwand an Betreuung, Beaufsichtigung, ein besonderes Umfeld sowie eine spezielle pflegerische Fachlichkeit erforderlich. Diese Arbeit entlastet zugleich integrative Pflegebereiche, trägt wesentlich zu einer höheren Lebenszufriedenheit aller Beteiligten bei und hat sich in der Praxis bewährt. Leider ist es nur in einigen Bundesländern gelungen, diese spezialisierten Angebote durch Rahmenvereinbarungen finanziell abzusichern. Mit der besorgniserregenden Personalentwicklung gibt es zunehmend einen Wegfall spezialisierter Angebote. Dies führt zu Qualitätseinbrüchen auf vielen Ebenen: Personen mit Demenz werden vermehrt medikamentös "ruhiggestellt", Gewalt nimmt zu (besonders bei Bewohner untereinander), Heimbewohner ohne Demenz müssen sich mehr abgrenzen, vermeidbare Einweisungen in die klinische Gerontopsychiatrie oder Krankenhäuser nehmen zu, Heime nehmen "schwierige" Bewohner erst gar nicht mehr auf, Angehörige verzweifeln, weil sie keinen spezialisierten Heimplatz mehr finden. Die höhere Fachlichkeit und bessere Personalausstattung spezialisierter Einrichtungen sind zwingend notwendig, gehen aber zwangsläufig mit höheren Heimkosten einher.
Wir fordern: Die neue Bundesregierung muss sicherstellen, dass in allen Bundesländern refinanzierte spezialisierte Versorgungsangebote für Heimbewohner mit Verhaltensauffälligkeiten vorzuhalten sind, nicht nur in Hamburg, Baden-Württemberg oder Hessen. Will man dem Willen des Gesetzgebers mit den Pflegestärkungsgesetzen Rechnung tragen, dann dürfen die Verbesserungen für gerontopsychiatrisch erkrankte Heimbewohner mit Verhaltensauffälligkeiten nicht zu höheren Eigenanteilen führen. Als Umsetzungsalternative auf Bundesebene bietet sich ein gerontopsychiatrischer Zuschlag an, der direkt und pauschal durch die Pflegeversicherung an Heime mit einer Spezialisierung geleistet wird. Für integrativ arbeitende Einrichtungen sind entsprechend verlässliche unterstützende Strukturen zu entwickeln.
2. Pflegendende Angehörige stärken - häusliche Pflege sichern
Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz hat der Gesetzgeber einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt. Dieser berücksichtigt nun endlich an Demenz erkrankte Menschen, und die damit verbundene Ausweitung des Leistungsbezuges war für die Betroffenen ein Gewinn. Gleichwohl sind trotz weiterer Leistungsverbesserungen der Pflegeversicherung die Eigenanteile der Betroffenen mit und ohne Demenz dramatisch gestiegen. Mit Blick auf die enorm wichtige häusliche Pflege von Menschen mit Demenz gilt: Pflegebedürftige bzw. ihre Familien können mit einem durchschnittlichen Einkommen keine angemessene häusliche Betreuung und Pflege finanzieren. Angehörige verrichten aus diesem Grund große Teile der Versorgung selbst und riskieren damit oft die eigene Gesundheit und auch die eigene finanzielle Absicherung.
Wir fordern: Die Höhe des Pflegegeldes muss als Anreiz zur nennenswerten Gewinnung von Ehrenamtlichen und Angehörigen erhöht werden. Nach unserer Einschätzung sind Pflege und Betreuung durch Familienangehörige bei Menschen mit Demenz genauso wertvoll wie durch professionelle Dienstleister. Aber sie benötigen gezielte professionelle Unterstützung durch eine flächendeckend ausgebaute ambulante psychiatrische Pflege und spezielle Leistungskomplexe.
3. Überbordende Bürokratie und Prüfdichte abbauen und konsequent die Praxis unterstützen
Die professionelle Pflege leistet unter den gegebenen Rahmenbedingungen Enormes. Sie bemüht sich um beste und adäquate Versorgung. In Einrichtungen der Pflege wurden in den letzten Jahrzehnten sowohl die Qualifikationen des Personals als auch die Strukturen und Prozesse weiterentwickelt. Dennoch leidet die professionelle Pflege seit Einführung der Pflegeversicherung unter fehlendem Vertrauen. Aus vereinzelten und - ja, leider immer wieder auftretenden - Missständen resultierend wird die Pflege unter Generalverdacht gestellt. Zwei Folgen sind eine überbordende Bürokratie und die Vielzahl von Prüfungen. Dieses System bindet wertvolle und aus unserer Sicht in diesem Umfang unnötige Arbeitszeit. Pflegende fühlen sich ohnmächtig und haben dieser dauerhaften Misstrauenskultur nichts entgegenzusetzen. Sie verlassen die Pflege, u. a. in die Leiharbeit, die ihnen die Verantwortung für ihre Arbeit nimmt. Trotz oder gerade wegen der vom Gesetzgeber vorgesehenen Maßnahmen erleben wir eine Erosion der Pflegequalität für Menschen mit Demenz, denn diese benötigen eine Vertrauenskultur, Geborgenheit und ein Zuhause im Heim. Pflegende sollten den Sinn und den Wert dieser Aufgaben erleben und sich geschätzt fühlen. Die Pandemie hat gezeigt, dass dies möglich ist.
Wir fordern: Prüfungen durch den Medizinischen Dienst sowie der Heimaufsichtsbehörden sind weiter zu reduzieren. Die Prüfungen der Heimaufsichten müssen eine klare Abgrenzung zum Prüfauftrag des Medizinischen Dienstes erfahren. Statt Prüfungen durchzuführen kann das beim Medizinischen Dienst freiwerdende Personal in der professionellen Pflege Einsatz finden und den Fachkräftemangel dämpfen.
4. Fehlentwicklungen beim Personalbemessungssystem für Menschen mit Demenz stoppen und Rahmenbedingungen für spezialisierte Angebote schaffen
Die neue Personalbemessung (PeBeM) startete am 01.07.2023. Bis zum 01.07.2025 gibt es eine Übergangsregelung, nach einer Evaluation soll die neue Personalbemessung verpflichtend werden. Die tatsächliche Umsetzung von PeBeM führt zu einer Verschiebung der Personalstruktur. Grund hierfür ist die neue Berechnungslogik zum vorzuhaltenden Personal. Dies führt ggf. zu einer Reduktion an Fachkräften und einer Zunahme an Pflegeassistenten. Der aktuelle Stand des PeBeM ist auf eine fachgerechte Anpassung der Personalsituation an die Bedarfslagen von Bewohnern mit ausgeprägter Verhaltensauffälligkeit weder ausgerichtet noch hierfür entwickelt worden. Konzeptionelle Fragen bei der Entwicklung der neuen Personalbemessung blieben außen vor, und die fachlichen Anforderungen bei der Versorgung dieser Bewohnergruppe fanden kaum Beachtung. Dies ist unstrittig. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Personalbemessung eine fachgerechte, dem aktuellen Stand des Wissens entsprechende Versorgung von Bewohnern mit ausgeprägten psychischen Problemlagen berücksichtigt. Bei einer ambulanten Tourenplanung im stationären Bereich werden zudem Pflegeleistungen zerlegt und die Beziehungs- und Bezugspflege beeinträchtigt. Dies ist für Menschen mit Demenz eine zusätzliche Belastung.
Wir fordern: Es benötigt stabile Übergangsregeln, bis die Personalbemessung für spezialisierte Einrichtungen angepasst ist. Die Personalausstattung für die spezialisierte Versorgung von Bewohnern mit Verhaltensauffälligkeiten muss über dem Niveau der herkömmlichen Einrichtungen liegen.